Nachbericht

Buchvorstellung „Narren in Christo“ von Dr. Nathan Schmidtchen

Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus spielt in der Erinnerungskultur Deutschlands eine wichtige Rolle. Oft nicht bekannt ist, dass die Zeugen Jehovas schon sehr früh (1933) staatlich verboten wurden, weil sie Hitler und die NSDAP nicht unterstützten sowie den Hitlergruß und den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigerten. Oftmals folgten Inhaftierung, Gefängnisstrafen und KZ-Aufenthalte, schließlich auch Hinrichtungen, unter anderem im Strafgefängnis Wolfenbüttel.

Geschichtswissenschaftlich ist die Verfolgung der Zeugen Jehovas in der NS-Zeit mittlerweile gut aufgearbeitet. Für die Literatur fehlte dies bisher, obwohl die literarische Erinnerung an diese Epoche auch ein wichtiger Teil des kollektiven Gedächtnisses ist. Diesem Forschungsdesiderat hat die literaturwissenschaftliche Studie von Dr. Nathan Schmidtchen abgeholfen: „Narren in Christo“ – Jehovas Zeugen im literarischen Erinnerungsdiskurs Überlebender des Nationalsozialismus basiert auf langjährigen Recherchen des Autors zur Erzählliteratur des 20. Jahrhunderts.

Am 21. März 2024 hat Dr. Schmidtchen Ergebnisse seine Forschungsarbeit in der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel vorgestellt. In seinem Vortrag ging er exemplarisch und anschaulich auf „Die Moorsoldaten“ von Wolfgang Langhoff und „Was für ein schöner Sonntag“ von Jorge Semprún ein. Fazit seiner Studie ist:
 
„Jehovas Zeugen treten als Handlungsfiguren in den narrativen Texten nur sehr selten auf. Ihre Darstellung bleibt stets äußerlich und sehr stereotyp. Sie erhalten kaum das Rederecht. Oftmals wird von ihnen ein ambivalentes Bild gezeichnet, welches zwischen Anerkennung und Missachtung schwankt. Eine Ursache dafür ist die Schwierigkeit der Autoren, Jehovas Zeugen und ihr religiöses Weltbild zu verstehen. Sie nehmen sie als Fremde, Andere, Außenseiter und Sonderlinge wahr. In den literarischen Texten erfolgt ihre Charakterisierung häufig mit Hilfe christlicher Symbole und Motive. Pointiert lässt sich das ihnen unterstellte Narrentum in der Christusnachfolge mit dem Bibelzitat fassen: 'Narren in Christo'.“

In ihren einleitenden Worten umriss Martina Staats, Leiterin der Gedenkstätte, kurz den historischen Zusammenhang der Verfolgung und betonte den Mut der Zeugen Jehovas zu ihrer religiösen Überzeugung zu stehen. Insbesondere die Verweigerung des Hitlergrußes fiel im Alltag auf. Sie würdigte die erstmalige Forschungsarbeit aus literarischer Perspektive von Dr. Schmidtchen, die Vorbild für weitere Opfergruppen werden könnte. Nach dem Vortrag kamen die Zuhörenden bei einer offenen Fragerunde mit dem Referenten ins Gespräch.