Foto: v.l.n.r. Hediya Ekinci (Dolmetscherin), Leyla Hakrash, Marlies Petersen, Dr. Regina Mühlhäuser und Isabell Leverenz; © Stiftung niedersächsische Gedenkstätten

Projekt FERMAN

„Sexuelle Gewalt muss als Form der Gewalt benannt werden!“ -Podiumsgespräch zum Thema „Frauen in und nach Gewaltkonflikten“ in Celle

Celle, 25. November 2022. „Sexuelle Gewalt an Frauen ist immer Teil von Kriegen und Konflikten. Dies wird deutlich, wenn wir etwa auf den Holocaust blicken, die Comfort Stations in Korea, die Völkermorde in Ruanda und Bosnien sowie den Genozid an den Ezid_innen. Es ist wichtig, für diese Art der Gewalt zu sensibilisieren“, leitete Isabell Leverenz von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten das Podiumsgespräch „Frauen in und nach Gewaltkonflikten“ ein. Anlässlich des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen am 25. November hatte das Bildungs- und Dokumentationsprojekt FERMAN der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten in Kooperation mit dem Bomann-Museum und dem Caritasverband Celle zu einer Expertinnen-Diskussion eingeladen. Die Historikerin und Aktivistin Dr. Regina Mühlhäuser, die Sozialpädagogin Marlies Petersen sowie Leyla Hakrash, Überlebende des Völkermordes an den Ezid_innen, sprachen in diesem Rahmen über Ursachen, Funktionen und Folgen sexueller Kriegsgewalt am Beispiel der ezidischen Frauen.

 

Leyla Hakrash berichtete von den Widrigkeiten während ihrer Flucht vor dem sogenannten „Islamischen Staat“, der am 3. August 2014 die Region Shingal im Nordirak und die dort lebenden Ezid_innen überfallen hatte. Männer und ältere Menschen wurden erschossen, Frauen und Mädchen verschleppt, versklavt und vergewaltigt. „Das Schlimmste war die systematische Trennung der Frauen und Mädchen von den Männern“ so Hakrash. Damit wurde einmal mehr deutlich, dass der Ferman sowohl als Genozid als auch als Femizid betrachtet werden kann.

 

Um das Phänomen sexueller Gewalt besser verstehen zu können, bedürfe es vor allem der Bewusstmachung der Verwobenheit von Gewalt und Sexualität. Bis heute herrsche in mehr oder weniger patriarchal geprägten Gesellschaften kein gesellschaftliches Einvernehmen darüber, „dass es sich bei Vergewaltigung um eine negative Erfahrung und ein Verbrechen handelt“, so Mühlhäuser. Es gehöre zum militärischen und gesellschaftlichen Wissen, dass Soldaten in der Extremsituation des Krieges sexuelle Gewalt ausüben. „Befehlshaber tolerieren, akzeptieren, unterstützen das Verhalten ihrer Soldaten“, erläuterte sie und wies damit auf eine historische Kontinuitätslinie im Hinblick auf kriegerische Auseinandersetzungen hin.

 

Insbesondere nach dem Überleben der rohen Gewalt, auf der Flucht oder in Unterkünften für Geflüchtete benötigen die betroffenen Frauen sichere Räume. „Wir müssen Schutzräume schaffen, in dem wir offen darüber sprechen. Deshalb wurden Systeme geschaffen, in denen sexuelle Übergriffe erschwert werden“, so Marlies Petersen. Regina Mühlhäuser ergänzte die Wichtigkeit solcher Schutzräume auch für die Geschichtsaufarbeitung und das Ankommen in der Aufnahmegesellschaft: „Wir müssen Räume schaffen, in denen es möglich wird, die Erfahrungen der Betroffenen zu hören und zu verstehen, was sie sagen und was sie nicht sagen. Sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart.“

 

Sexuelle Gewalt gegen Frauen als Teil kriegerischer Auseinandersetzungen im Allgemeinen und Genoziden im Speziellen sollte als solche benannt und anerkannt werden, so das Resümee des Gesprächs. Die Aufgabe der Aufnahmegesellschaft sei es, diesen Überlebenden einen Raum zu schaffen, in dem die Erfahrungen thematisiert und damit sichtbar gemacht werden. Zudem sei es elementar, bestehende traumasensible Angebote, wie psychosoziale Beratung, Gesundheitsarbeit sowie Rechtshilfe auszubauen.

 

Informationen zum Projekt FERMAN. Ein Dokumentations- und Bildungsprojekt zum Ferman (Völkermord) an den Ezid_innen